"Damals war nicht mehr zu erreichen"

Veröffentlicht am 25.05.2011 in Landespolitik

"Wenn Berlin und Brandenburg sich einig gewesen wären, hätten wir Sperenberg durchsetzen können"

Berliner Zeitung vom 25. Mai 2011
Warum Brandenburgs früherer Ministerpräsident Manfred Stolpe vor 15 Jahren wider seine eigene Überzeugung dem Flughafenstandort Schönefeld zustimmte.

Vor 15 Jahren beschlossen Berlin, Brandenburg und der Bund, den neuen Hauptstadtflughafen in Schönefeld zu bauen. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung beschreibt Brandenburgs damaliger Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) erstmals, wie die heute hoch umstrittene Entscheidung zustande kam. Stolpe wollte den Flughafen bis zuletzt in Sperenberg südlich der Hauptstadt errichten. Nach der gescheiterten Länderfusion habe der berlinfernere Standort aber keine Chance mehr gehabt - auch weil der Bund die Luftdrehkreuze in Frankfurt und München nicht gefährden wollte.

Herr Stolpe, die Flugrouten-Proteste reißen nicht ab. Dabei wird die Glaubwürdigkeit von Politik generell in Zweifel gezogen, auch Ihnen persönlich werden unlautere Motive unterstellt. Ärgert Sie das?

Nein. Das ist eine Erfahrung, die ich immer wieder gemacht habe: Da wird punktuell etwas bewertet, ohne den Werdegang und die damals herrschenden Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.

Sorgen Sie für Aufklärung. Noch 1995 sagten Sie: „Ich werde freiwillig Schönefeld nicht zustimmen, weil ein Flughafen dort unmenschlich wäre.“ Was hat Sie plötzlich umgestimmt?

Freiwillig habe ich ja nicht zugestimmt. Man könnte auch sagen, ich musste kapitulieren. Zur Erinnerung: Es geht um ein Projekt mit drei Beteiligten: Bund, Berlin und Brandenburg. Um den neuen Flughafen in Sperenberg zu bauen, hätten mindestens zwei, eigentlich alle, dazu stehen müssen. Das war über Jahre nicht gelungen. Und es war endgültig unmöglich geworden, nachdem meine Hoffnung, mit Berlin ein Land zu bilden, nach der Volksabstimmung am 5. Mai 1996 geplatzt war. Bis dahin hatte ich darauf gehofft, in einem gemeinsamen Landtag eine Mehrheit für Sperenberg zu erreichen.

Sah das Berlins damaliger Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) auch so?

Er war von Sperenberg nicht begeistert. Sehr viele in Berlin, auch in seiner eigenen Partei, waren ja dagegen. Für viele West-Berliner war das unendlich weit weg, fast schon Sibirien. Und auch die Grünen in Berlin bildeten eine geschlossene Front gegen Sperenberg. Nur in der SPD überwogen die Befürworter. Aber Diepgen kannte meine Strategie, nach der Fusion das Parlament entscheiden zu lassen. Dann wäre Sperenberg möglich gewesen. Diese Perspektive war zerbrochen. Und der Bund war sowieso dagegen.

Warum?

Das habe ich im Detail erst später von einem leitenden Mitarbeiter des Bundesverkehrsministeriums erfahren. Den Namen sage ich nicht, der Mann arbeitet da noch heute. Der Bund hatte sich entschieden, sich auf zwei Luftdrehkreuze zu konzentrieren: Frankfurt am Main und München. Mit einem 24-Stunden-Flugverkehr in Sperenberg wäre zumindest für München eine ernste Konkurrenz erwachsen.

Nach jener mittlerweile sagenumwobenen Sitzung mit Diepgen und dem früheren Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) im Berliner Senatsgästehaus wurde aber erklärt, Sperenberg sei an den nicht finanzierbaren Mehrkosten für 60 Schienen-Kilometer gescheitert.

Das Problem hatten wir den beiden anderen Partnern längst abgenommen. Der damalige Brandenburger Finanzminister und ich hatten ja feierlich ein Papier auf den Tisch gelegt und gesagt: Die 1,3 Milliarden Mark Mehrkosten übernehmen wir armen Schlucker in Brandenburg. Um Sperenberg zu erreichen.

Wieso haben Sie der offiziellen Darstellung nicht widersprochen?

Das hätte ja nichts geändert. Und ich konnte doch nicht unter Verweis auf interne Informationen behaupten, dass beim Bundesverkehrsminister ganz andere taktische Motive vorherrschten. Wenn Berlin und Brandenburg sich einig gewesen wären, hätten wir Sperenberg durchsetzen können. Das wäre ein Flughafen für die nächsten 100 Jahre geworden.

Wenn die Entscheidung für Schönefeld aus ihrer Sicht klar die falsche war, warum haben Sie am Ende doch Ja gesagt?

Wer sich die Fernsehaufnahmen von damals ansieht, der hat ja bis auf den heutigen Tag das Gefühl, da wird Stolpe verhaftet. Aber eine Konfrontation hätte jede Entwicklung blockiert. Schönefeld liegt nun einmal in Brandenburg. Da kann man als Vertreter des Landes nicht sagen: Ohne uns. Im Laufe der Jahre hatte sich auch die Planung verändert.

Inwiefern?
Anfangs waren wir davon ausgegangen, dass die Region und auch der Flugverkehr schneller und stärker wachsen. Wir hatten deshalb von sechs Start- und Landebahnen geträumt. Später verständigte man sich, dass vorerst auch zwei ausreichen. Damit war ein zentrales Sachargument für Sperenberg vom Tisch.

Über die Sitzung kursieren Verschwörungstheorien. Wurden Sie unter Druck gesetzt?

Nein, da wird viel reingedeutet. Am meisten hat mich damals meine eigene Überzeugung unter Druck gesetzt: Berlin und Brandenburg brauchen unbedingt einen leistungsfähigen, bei Bedarf ausbaubaren Single-Flughafen. Die Verzettelung mit mehreren Flughäfen hätte keine Entwicklungschancen für die Region gebracht. Das war das Entscheidende. Deswegen wollte ich als „Spatz in der Hand“ wenigstens Schönefeld als Single-Flughafen erreichen.

Später haben Sie Schönefeld als Zwischenlösung und die Großflughafen-Pläne als Größenwahn bezeichnet.

Den Begriff Großflughafen habe ich nie benutzt. Und er ist aus meiner Sicht bei dem Ausmaß des Flugverkehrs und dem wohl strenger werdenden Nachtflugverbot auch nicht angebracht. Wir können nicht mehr in eine Liga mit Frankfurt oder München aufsteigen, wie ich es von Sperenberg erhofft hatte. Wir müssen eher zusehen, dass wir nicht weit hinter Düsseldorf zurückfallen. Das ist kein Großflughafen. Von einer Zwischenlösung zu sprechen, hielte ich heute aber für übertrieben.

Auf den Berliner Flughäfen gab es 2010 etwa 235 000 Starts und Landungen. Für den BBI in Schönefeld sind maximal 360 000 Flugbewegungen genehmigt. Irgendwann wird die Grenze erreicht sein.

Ich bin vorsichtig geworden bei der Einschätzung, wie sich der Flugverkehr entwickeln wird. Die Großflughäfen stehen inzwischen fest. Sollte Berlin doch einmal dazu gehören, stellt sich die Frage neu.

Mit Sperenberg?

Ich habe immer nur darum gebeten, in Sperenberg nicht alles zuzubauen. Auch heute rate ich davon ab, dort neue Städte zu bauen. Langfristig glaube ich schon, dass das dort eine Flughafenerwartungsfläche sein kann.

Haben Sie damals erwartet, dass die Entscheidung pro Schönefeld die ganze Region in Aufruhr versetzen würde?

Mir war schon klar, dass die Flugrouten und der damit verbundene Lärm heftige Diskussionen auslösen könnte.

Das hat Sie aber nicht abgeschreckt.

Ich bin damals zum Flughafen Frankfurt gereist und habe mich mit Vertretern der Anrainer unterhalten. Die kämpften auch, aber es war nicht das ganz große Drama, es gab keinen Massenfortzug. Und ich dachte mir, unsere Brandenburger sind ja eigentlich hart im Nehmen. Dass inzwischen auch eine Reihe Menschen hierher gezogen sind, in der Hoffnung, einen schönen, ruhigen Platz zu finden, das hatte ich nicht im Hinterkopf.

Nach dem Raumordnungsverfahren von 1994, das Schönefeld als ungeeigneten Standort auswies, galt der Ausbau lange als völlig unwahrscheinlich. Verstehen Sie, wenn die Betroffenen heute auf Vertrauensschutz pochen?

Vertrauensschutz kann man nur geltend machen, wenn falsche Tatsachen vorgespiegelt worden wären. Das ist nicht passiert. Ich habe das Verfahren als Ministerpräsident und später auch als Bundesverkehrsminister sehr genau verfolgt. Nach meinem Eindruck ist nichts fahrlässig zurück gehalten worden.

Stichwort Stuttgart 21: Wäre die Schönfeld-Entscheidung heute noch durchsetzbar?

Ganz sicher würde sehr viel mehr über das Projekt geredet werden müssen. Damals war das Interesse an Detailinformationen noch nicht so groß. Gerade in Berlin waren ja viele nur froh, dass es nach Schönefeld ging. Und im Südwesten und im Umfeld von Potsdam gingen die meisten davon aus, dass sie nicht betroffen sind.

Sie sind selbst Potsdamer. Graust es Ihnen nicht vor dem Fluglärm?

Meine intensivsten Erfahrungen mit Fluglärm und –routen habe ich als Bundesverkehrsminister gemacht. Es ging darum, sich in Baden-Württemberg über die Flugrouten von Zürich zu verständigen. Ich habe mich aufs freie Feld begeben und war bereit, mich überzeugen zu lassen, dass Flugzeuge, die zweieinhalb Kilometer hoch fliegen, eine Lärmbelästigung sind. Man sah die Flugzeuge auch. Und ich höre eigentlich nicht schlecht... Aber ich hielt das für lösbar. Das sehe ich bei Potsdam nicht anders.

Sollte es ein längeres Nachtflugverbot – von 22 bis 6 Uhr statt von 24 bis 5 Uhr – geben?

Das kann ich im Moment nicht beurteilen. Entscheidend wird aber sein, dass die Möglichkeit existiert, in den Randzeiten zu fliegen, wenn der Bedarf vorhanden ist. Wirtschaftliche Auswirkungen müssen auch berücksichtigt werden.

Würden Sie mit dem Wissen von heute noch einmal so handeln?

Vielleicht würde ich noch intensiver versuchen, die anderen Partner von Sperenberg zu überzeugen. Damals spielte die Psychologie eine große Rolle. In der „Insel Berlin“ lebte man nun einmal in der Vorstellung, dass einem die Lüneburger Heide näher ist als die brandenburgischen Wälder drum herum. Damals war nicht mehr zu erreichen.

Das Gespräch führten Andrea Beyerlein und Jürgen Schwenkenbecher

 

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