"Einer mit innerem Kompass"

Veröffentlicht am 12.05.2011 in Landespolitik

"Manfred Stolpes Kompass hat immer in die richtige Richtung gewiesen" (Foto: NVP)

Märkische Allgemeine vom 12. Mai 2011
Altkanzler Helmut Schmidt über Brandenburgs Ex-Regierungschef Manfred Stolpe, der am 16. Mai 75 Jahre alt wurde.

 
Helmut Schmidt

"Nach meinem Ausscheiden aus der Bundesregierung 1982 wurde ich des Öfteren von der Evangelischen Kirche der DDR zu Vortragsreihen und Diskussionen in ostdeutsche Städte eingeladen. Auf diesen Veranstaltungen konnte ich im direkten Gespräch von manchen der Meinungen, Hoffnungen und Ängste der Menschen in der DDR erfahren. Ich habe es dem Engagement von Manfred Stolpe zu verdanken, dass ich diese wertvollen Eindrücke sammeln konnte.

Manfred Stolpe, zu jener Zeit stellvertretender Vorsitzender des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, hatte meine Besuche organisiert. Er ging damit auch persönlich große Risiken ein. Ich war mir zwar damals bei meinen Vorträgen des schmalen Grats zwischen offener Kritik einerseits und Provokation eines öffentlichen Eklats andererseits bewusst. Aber das Risiko eines spontanen Aufbegehrens meiner Zuhörer und deshalb ebenso deren Risiko staatlicher Repression war eindeutig gegeben. Es wurde in den letzten Jahren vor dem Mauerfall größer.

Die Hoffnung der Menschen in der DDR auf Veränderungen innerhalb des bestehenden Systems und der Drang nach Ablösung des herrschenden Regimes waren immer deutlicher wahrzunehmen. Ich erinnere mich noch gut an eine Rede, die ich 1988 in der Nikolaikirche in Potsdam hielt und bei der die emotionale Spannung im Publikum geradezu körperlich spürbar war. Manfred Stolpe und meine Frau haben sich damals gegenseitig beruhigt und auch gemeinsam aufgeatmet, als ich, die Gefahr erkennend, den Ton meiner Rede dämpfte.

Ich habe Manfred Stolpe als Mann der Kirche kennengelernt. Als einen, der sich für die Menschen in der DDR einsetzte und der vielen in Notlagen konkret helfen konnte. Nach der Wiedervereinigung gab es Kritik daran, auf welchen Wegen diese Hilfen manchmal zustande gebracht werden mussten. Dieser Kritik habe ich stets widersprochen. Sie resultierte zu- meist aus Unwissenheit, aber auch aus Scheinheiligkeit. Wer in einem diktatorischen System anderen in ihrer Bedrängnis helfen will, der muss manchmal krumme Wege gehen, die in kein Schwarz-Weiß-Schema passen. Auch im DDR-Regime war Hilfe oft nur im direkten Kontakt mit dem Machtapparat möglich. Als ich die DDR-Führung warnen wollte, sich im Falle einer sowjetischen Intervention in Polen auf keinen Fall mit DDR-Streitkräften zu beteiligen, habe ich es sehr geschätzt, dass ich Manfred Stolpe bitten konnte, als eine Art Briefträger zu fungieren.
Ich konnte mich dabei auf seine Integrität verlassen.

Nach dem historischen Glücksfall der friedlichen Revolution in Polen und in der DDR und nach der darauf folgenden Wiedervereinigung schlug das Gemütspendel von anfänglich euphorischer Begeisterung ziemlich bald in Enttäuschung um. Im Westen mussten bald die enormen finanziellen Transferleistungen in den Osten als alleinige Ursache für alle ökonomi- schen und sozialpolitischen Probleme herhalten. Gleichzeitig machte sich im Osten zunehmend ein Gefühl der Bevormundung breit. Das notwendi- ge gegenseitige Verständnis für die Seelenlage der jeweils anderen Seite hat sich nur sehr zögerlich entwickelt. Jene Medien, die sich willfährig und manchmal geradezu penetrant der Klischees des »Besser-Wessis« und des »Jammer-Ossis« bedienten, haben den Prozess des Zusammenwach- sens zusätzlich behindert.

In diesem Umfeld war es eines der großen Verdienste von Manfred Stolpe, dass er sich in seinem Wirken stets dafür eingesetzt hat, die spaltende Kategorisierung in Ost und West zu überwinden. Im Gegensatz zu manch anderen Politikern und Parteien hat er sich nicht als Sprachrohr ostdeutscher Partikularinteressen verstanden. Vielmehr hat er sich als erster Ministerpräsident des neu gegründeten Landes Brandenburg und später als Bundesminister für Verkehr und Aufbau Ost immer um eine ausgleichende gesamtdeutsche Perspektive bemüht. Gleichzeitig unter- schied sich Manfred Stolpe durch seine DDR-Biographie von jenen Politikern und Beamten in den neuen Bundesländern, die nach der Wende aus dem Westen gekommen waren. Dies hat ihm gerade bei den Men- schen im Osten von vornherein ein besonderes Maß an Glaubwürdigkeit gegeben.

In Zeiten des Umbruchs den Menschen eine Orientierung geben, das kann nur einer, bei dem der innere Kompass stimmt. Manfred Stolpes Kompass hat immer in die richtige Richtung gewiesen."

 

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