Warum eine GroKo schlecht für Deutschland wäre

Veröffentlicht am 26.11.2017 in Bundespolitik

24. September 2017: die SPD erringt bei der Bundestagswahl nur noch 20,5 %, und Martin Schulz erteilt einer Fortführung der großen Koalition eine deutliche Absage – unter Jubel der im Willy-Brandt-Haus anwesenden Genossinnen und Genossen. Auch bei der Wahlparty der SPD Oberhavel in Hennigsdorf gibt es hierfür spontanen Beifall.

Trotz ebenfalls großer Verluste ist die CDU/CSU die stärkste Fraktion geblieben und hat damit den Regierungsauftrag erhalten. Unter Führung von Frau Merkel kommt es daher zu Sondierungsgesprächen mit den Grünen und der FDP. Am 19. November um 23.47 Uhr erklärt Herr Lindner der Presse, dass die FDP aus diesen Gesprächen aussteige.

Eine stabile Mehrheitsregierung wäre damit nur in einer Koalition von CDU/CSU und SPD möglich, und sofort beginnt der (vor allem auch mediale) Druck auf die SPD, sie möge doch bitte aus ihrer „Schmollecke“ kommen und sich ihrer staatspolitischen Verantwortung stellen.

Auch innerparteilich wird natürlich heftig diskutiert. Ein Teil der Parteibasis argumentiert damit, dass die SPD für ihre Inhalte gewählt worden sei; diese könne sie aber nur in einer Regierungskoalition durchsetzen. Gegen diese (durchaus nachvollziehbare) „Kopfentscheidung“ steht aber das „Bauchgefühl“ vieler Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.

An dieser Stelle will ich  (aus meiner ganz subjektiven Sicht als SPD-Mitglied) auf die bisherigen zwei großen Koalitionen mit (oder sollte man besser sagen, unter) Merkel zurückschauen:

Im Bundestagswahlkampf 2005 war eines der Themen, dass die CDU die Mehrwertsteuer um 2 % erhöhen wollte. An vielen Wahlkampfständen versprachen wir den Bürgerinnen und Bürgern, dass es mit der SPD  diese „Merkelsteuer“ nicht geben würde. Erhöht wurde die Mehrwertsteuer nach der Wahl dann aber sogar um 3 %, mitgetragen von der SPD. Dafür schäme ich mich noch heute.  Auch im übrigen konnte die SPD in der großen Koalition offenbar nicht überzeugen und stürzte bei der Bundestagswahl von 34,2 % (2005) auf 23 % ab.

Leider haben wir die dann folgenden Oppositionsjahre nicht dazu genutzt, den auch damals schon notwendigen Erneuerungsprozess in der SPD einzuleiten, so dass wir auch aus der Bundestagswahl 2013 nicht wirklich als starke Kraft hervorgingen (25,7 %). Aber die SPD wurde von der CDU/CSU wieder gebraucht, um eine Mehrheitskoalition zustande zu bringen. Nach den Erfahrungen 2005 – 2009 war die Stimmung unter den SPD-Mitgliedern 2013 ähnlich wie heute. Sigmar Gabriel griff zu einer taktisch genialen Strategie: er kündigte an, dass der Koalitionsvertrag nur geschlossen werde, wenn bei einem Mitgliedervotum die Mehrheit der Mitglieder dafür stimme. Mit dem „Druckmittel“ der knapp 475.000 Mitglieder erreichte er in den Verhandlungen mit der CDU/CSU, dass deutlich mehr  sozialdemokratische Projekte in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurden, als es dem Wahlergebnis entsprochen hätte (z.B. der Mindestlohn,  Regulierung der Leiharbeit, Rente mit 63, solidarische Lebensleistungsrente für Geringverdiener, mehr Investitionen in sozialen Wohnungsbau und in Bildung). Das wiederum setzte auch die eigenen Mitglieder unter Druck. Sollte man einen solchen Koalitionsvertrag mit sozialdemokratischer Handschrift tatsächlich ablehnen, nur weil man ein starkes Unbehagen hatte, wieder als Juniorpartner in eine Merkel-Regierung zu gehen? Diese Überlegung führte bei mir dazu, dass ich trotz einer ursprünglichen Ablehnung dem Koalitionsvertrag letztendlich zustimmte. Wie mir ging es sicher vielen Genossinnen und Genossen; knapp 76 % stimmten dafür.

Ich will diese Entscheidung nicht als Fehler betrachten, denn in den Jahren 2013 – 2017 wurden ein Großteil der Maßnahmen und Projekte im Interesse der Bürgerinnen und Bürger auch umgesetzt. Für die SPD selbst war es jedoch ein Fehler, denn 2017 stürzten wir bei den Wählerstimmen abermals ab auf nur noch 20,5 %.

Und jetzt? Das gleiche Spielchen noch einmal? Frau Merkel braucht uns doch wieder als Mehrheitsbeschaffer; da könnte man sicherlich vieles fordern. Und wenn wir z.B. eine Bürgerversicherung in den Koalitionsvertrag bekämen, dann könnten wir doch wieder... Nein! Und bei diesem Nein werde ich diesmal bleiben.

In einer Koalition mit der SPD als kleinerem Partner werden ihre sozialdemokratischen Inhalte „vereinnahmt“ (wobei Frau Merkel ein besonderes Geschick bewiesen hat). Gleichzeitig muss die SPD aber konservative Inhalte mittragen, was ihre Akzeptanz bei ihren Wählerinnen und Wählern in Frage stellt. Ich sehe daher die Gefahr, dass wir bei den nächsten Bundestagswahlen wiederum nur bei ca. 20 %, möglicherweise sogar noch geringer „landen“.

Ich setze stattdessen große Hoffnungen auf den innerparteilichen Erneuerungsprozess, bei dem wir gerade erst am Anfang stehen. Hierbei ist es wichtig, dass dieser getragen wird von der Basis, d.h. den vielen ehrenamtlichen Mitgliedern, die vor Ort „den Kopf hinhalten“. Wenn es wieder zu einer großen Koalition kommt, befürchte ich jedoch, dass uns nicht nur viele von den gerade erst voller Begeisterung eingetretenen Neumitgliedern wieder verlassen, sondern auch viele langjährige Mitglieder sich resigniert zurückziehen, schlimmstenfalls auch austreten werden. Entsprechende Signale habe ich bereits erhalten.

Gern wird mir, wenn ich so argumentiere, das Brandt-Zitat „Erst kommt das Land, dann die Partei“ entgegengehalten. Ganz abgesehen davon, dass Willy Brandt diesen Satz in einem ganz anderen Zusammenhang und damit auch mit einer ganz anderen Bedeutung sagte, halte ich eine große Koalition auch nicht im Interesse Deutschlands.

Aus Sicht der Bürgerinnnen und Bürger machen „die da oben ja doch, was sie wollen“ und „die Parteien sind sowieso alle gleich.“ In einer großen Koalition werden die Unterschiede zwischen CDU und SPD tatsächlich unschärfer, und eine GroKo bedeutet immer auch eine KlOpo, d.h. eine kleine Opposition, und  das widerspricht meinem Demokratieverständnis.

Eine starke Demokratie ist für mich immer auch eine lebendige Demokratie. Doch, ähnlich wie ich es auch in den Regierungsjahren von Kohl erlebte, haben wir stattdessen eine Gesellschaft der Resignation, des Demokratieverdrusses, des Rückzugs. Öffentliche Debatten über politische Themen finden doch in der breiten Masse der Bevölkerung gar nicht mehr statt. Die Bürgerinnen und Bürger regen sich auf, wenn sie Straßenausbaubeiträge zahlen sollen, aber dass dem Staat jedes Jahr Milliarden durch Steuerhinterziehung und Steuerflucht entgehen, ist kein Aufregerthema. Und wenn auch innerhalb und zwischen den Parteien nicht mehr kontrovers diskutiert wird, fördert das die Entpolitisierung der Gesellschaft.

Außerdem bin ich fest davon überzeugt, dass Deutschland (und Europa) als Gegengewicht zu konservativen, liberalen und radikalen Kräften eine starke Sozialdemokratie braucht. Und das kann keine Sozialdemokratie sein, die dauerhaft nur als „Anhängsel“ einer konservativen Fraktion regiert. Unser Ziel muss sein, als „Motor“ Reformen im Interesse der Menschen, vor allem der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu gestalten, und das können wir nur, wenn wir eine/n sozialdemokratisch/n Kanzlerin oder Kanzler stellen. Um das zu erreichen und Wählerinnen und Wähler wieder von unseren Ideen zu überzeugen, brauchen wir zunächst den Erneuerungsprozess innerhalb der SPD. Diesen können wir glaubwürdig nur aus der Opposition heraus führen.

 

Andrea Suhr
Vorsitzende des SPD Unterbezirks

 

Homepage SPD Oberhavel

Besucher:401020
Heute:53
Online:2