"Wir erleben das energiepolitische Waterloo der Regierung"

Veröffentlicht am 09.06.2011 in Bundespolitik

Steinmeier im Interview mit der taz, 9. Juni 2011

taz: Herr Steinmeier, müssen Sie heute der Kanzlerin zur vollendeten Energiewende gratulieren?

Frank-Walter Steinmeier: Es gibt keinen Anlass zum Gratulieren. Wir erleben heute das energiepolitische Waterloo dieser Regierung. Die Kanzlerin wollte ausgerechnet bei der Energiepolitik noch vor sechs Monaten Handlungsfähigkeit beweisen - mit der verhängnisvoll falschen Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke. Jetzt muss sie nach einer energiepolitischen Irrfahrt nicht nur zurück zum Ausgangspunkt. Sie muss alles bestätigen, was Rot-Grün - heftig bekämpft von den heutigen Regierungsparteien - bei Atomausstieg und Erneuerbaren Energien auf den Weg gebracht hat.

taz: Bei den Probeabstimmungen schien die eigene schwarz-gelbe Mehrheit in Gefahr. Ein Problem?

Frank-Walter Steinmeier: Die Kanzlerin weiß, dass sie für die doppelte Kehrtwende in der Energiepolitik eine Mehrheit im Regierungslager braucht. Darum werden die sich in den nächsten vier Wochen bemühen, und ich rechne damit, dass die das hinkriegen. Aber der Beweis ist schon geliefert, dass kluge Energiepolitik nur mit SPD und Grünen möglich ist.

taz: Auch die SPD schien lange unsicher, ob sie dem schwarz-gelben Konzeptzustimmen soll.

Frank-Walter Steinmeier: Wir haben doch gezeigt, wie wichtig es war, nicht frühzeitig einen Blankoscheck auszustellen. Nur deshalb ist die Bundesregierung zum Modell des rot-grünen Ausstiegs zurückgekehrt; und das heißt nicht alle AKWs laufen bis 2022, sondern gehen nach und nach vom Netz, und zwar endgültig. So hatten wir es vorgesehen. Wenn wir jetzt wieder an diesem Punkt sind, suche ich nicht taktisch nach Gründen, um der Koalition eine Zustimmung zur Laufzeitbegrenzung zu verweigern.

taz: In ihrem eigenen Energiekonzept wollen sie soziale Balance, Atomausstieg, Klimaziele einhalten, Preisanstiege begrenzen. Das klingt nach einem unrealistischen Wünsch-dir-was.

Frank-Walter Steinmeier: Das Gegenteil ist der Fall. Ob uns das gefällt oder nicht: Wir werden die Zukunft der Energiepolitik erfolgreich nur im Dreieck von ökologischen Zielen, wirtschaftlicher Tragfähigkeit, und sozialer Balance umsetzen.

taz: Warum sagt die SPD nicht einfach: Energie muss teurer werden?

Frank-Walter Steinmeier: Was heißt sagen? Das ist doch nicht sehr mutig. Wir haben es gemacht, erstmals mit der Ökosteuer, dann mit der Förderung der Erneuerbaren Energien. Übrigens so überzeugend, dass viele Staaten unser Modell übernommen haben. Und ich füge hinzu, wenn wir jetzt noch ehrgeiziger beim Umstieg in Erneuerbare werden wollen, wird Energie mehr Geld kosten. Da dürfen wir den Menschen überhaupt nichts vormachen. Falsche Versprechungen oder Verharmlosungen holen uns ein.

taz: Muss der Staat deutlich mehr Geld für Subventionen ausgeben?

Frank-Walter Steinmeier: Ich rechne damit, dass das Fördervolumen für Erneuerbare ansteigen wird. Anders werden wir die nötige Steigerung bei Erneuerbaren Energien gar nicht erreichen können. Die großen Investitionen für Offshore-Windparks stehen uns erst noch bevor.

taz: Kohlekraftwerke produzieren günstigen Strom. Gibt die SPD der Kohle eine Zukunft?

Frank-Walter Steinmeier: Derzeit befinden sich neue Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 10 Gigawatt im Bau und in der Planung. Darüber hinausgehende Investitionsplanungen in Kohle kann zumindest ich nicht erkennen. Auf fossile Übergangstechnologien werden wir beim beschleunigten Ausstieg aus Atom nicht völlig verzichten können. Aber die Energieversorger werden in die Gasverstromung investieren, die auch die ideale technische Ergänzung zu Erneuerbaren ist.

taz: Das heißt: Zusätzliche Kohlekraftwerke sind ausgeschlossen?

Frank-Walter Steinmeier: Es gibt kein gesetzliches Verbot. Aber weshalb sollte ein Unternehmen in ein Vorhaben investieren, das hochriskant ist, wenn es auch in rentable Gaskraftwerke investieren kann.

taz: Das sagt der Fraktionsvorsitzende der Kohle-Partei SPD?

Frank-Walter Steinmeier: Ach wissen Sie: es war ein sozialdemokratischer Bundeskanzler einer rot-grünen Regierung mit einem sozialdemokratischen Verhandlungsführer, der den Atomausstieg organisiert hat. Und beide kamen aus dem Kohle-Land NRW. Sie müssen sich daran gewöhnen, dass Menschen die den Strukturwandel etwas hautnäher erlebt haben, einen ganz nüchternen Blick auf die Zukunft der Energiepolitik haben.

taz: Am Freitag debattiert der Bundstag die Europapolitik – außenpolitisch hat sich Kanzlerin Merkel von Libyen bis Euro in den vergangenenWochen angreifbar gemacht.

Frank-Walter Steinmeier: Es gibt kein außenpolitisches Profil, keine Richtung, keine Initiativen. Außenpolitik ist bei schwarz-gelb keine eigenständige Größe mehr, sondern Teil des täglichen Überlebenskampfes dieser Koalition! Sie kreist 24 Stunden am Tag um sich selbst. Merkel hat keine Haltung zu Europa: In Brüssel hält Merkel eine Rede zur europäischen Solidarität, weil es gerade passt. Ein anderes Mal - im Sauerland - bedient sie den Stammtisch mit allen Ressentiments gegen Südeuropäer. Das ist nicht nur keine Linie. Das ist eine gefährliche Form der Europapolitik.

taz: Merkel hat in Europa einen "Wettbewerbspakt" durchgesetzt, der Ländern Lohnzurückhaltung vorschreibt und Schuldenbremsen installiert. Verkauft die Kanzlerin erfolgreich ihre Idee vom erfolgreichen Deutschland?

Frank-Walter Steinmeier: Merkel sät vor allem Verärgerung. Deutschlands Rolle irritiert die Europäer. Die kleinen Mitgliedsländer sind verunsichert, weil Deutschland nicht mehr als Mittler zwischen kleinen und großen Ländern auftritt. Und die großen Länder wie Frankreich treffen ohne Deutschland die wichtigen Entscheidungen. Wir sind innerhalb von knapp 2 Jahren aus dem Zentrum der europäischen Willensbildung an die Peripherie gerückt. Das macht mir Sorge. Auch deshalb, weil sich dies nicht so leicht wieder umkehren lässt.

taz: Hat Europa noch Zukunft?

Frank-Walter Steinmeier: Wir verdanken Europa Wohlstand und über 60 Jahre Frieden in unserem Land. Aber wir werden die europäische Krise nicht überwinden, in dem wir Europa sich selbst überlassen. Europa braucht einen neuen Geist des Miteinanders. Deutschland muss sich diesem europäischen Geist verpflichten und in die Verantwortung gehen. Denn Tendenzen zur Re-Nationalisierung in Europa sind augenscheinlich, national-populistische Parteien gewinnen Zulauf; nicht nur in Ungarn, auch in den Niederlanden, Dänemark, Schweden und Finnland. Gerade wir sollten uns in der Pflicht sehen, dem etwas entgegenzusetzen.

 

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