Mindestlohn per Tombola

Veröffentlicht am 29.04.2012 in Bundespolitik

Die Union macht einen Vorschlag, den sie hoffentlich nicht ernst meint

Der sogenannte Mindestlohn der Merkel-CDU stößt bei den meisten Medien auf Widerspruch und Hohn... Hier der jüngste Kommentar von Tarifexperte Detlef Esslinger von der Süddeutschen Zeitung.

Manchmal geht es wohl nur so. Manchmal sind Seminare an der Uni dermaßen überfüllt, dass Dozenten sich gezwungen sehen, die Plätze zu verlosen. Manchmal sind Bauplätze im Neubaugebiet so begehrt, dass die Gemeinde das Los über die Zuteilung entscheiden lässt. Und wie anders soll man die Ticketvergabe fürs Champions-League-Finale regeln, wenn eine Million Fans ins Stadion wollen, die Plätze aber nur für 66.000 reichen?

Die Bundestagsfraktion von CDU und CSU hat das Prinzip der Lotterie jetzt jedoch spektakulär missverstanden. Sie ist anscheinend zu der Ansicht gekommen: Was in manchen Fällen geht, das geht überall. Sie hat Eckpunkte für eine „allgemein verbindliche Lohnuntergrenze“ vorgestellt; ein Wortgeschwurbel, mit dem der Begriff „Mindestlohn“ umgangen werden soll. Die Eckpunkte enthalten mindestens zwei Elemente, die den Verdacht provozieren: Worum geht es der Union eigentlich? Will sie wirklich eine „Lohnuntergrenze“ einführen? Oder geht es ihr lediglich darum, so zu tun – während sie in Wahrheit genau eine solche verhindern will?

Der Beschluss enthält mindestens zwei Sollbruchstellen; eine davon ist die Einführung des Losentscheids. Eine Kommission aus Arbeitgebern und Gewerkschaftern soll künftig eine Lohnuntergrenze festlegen. Werden beide Seiten sich nicht einig, müssen sie einen Schlichter berufen. Werden sie sich auch über den nicht einig (was recht wahrscheinlich ist), sollen beide jeweils einen Schlichter benennen – wer von denen aber stimmberechtigt sein wird, entscheidet das Los. Mit anderen Worten: Was die Union plant, läuft auf Lohnfestlegung per Tombola hinaus.

Gegen ein Losverfahren ist grundsätzlich nichts einzuwenden – solange damit Entscheidungen gefällt werden, die den Verlierer nicht existentiell treffen. Wer keinen Platz im Uni-Seminar bekommt, der besucht eben ein anderes. Wer bei der Vergabe von Bauplätzen nicht zum Zuge kommt, sieht sich in der Nachbargemeinde um. Aber soll es vom Los abhängen, ob eine Friseurin von ihrem Lohn leben kann oder zusätzlich auf Hartz IV an- gewiesen ist? Schon die Frage ist albern. Lebensentwürfe hängen auch davon ab, wie viel jemand aus eigener Kraft erwirtschaften kann. Bei dieser Frage an Verlosung zu denken, offenbart nur eins: Mangel an Ernsthaftigkeit.

Schon richtig, Politik besteht immer darin, zwischen verschiedenen Interessen einen Ausgleich zu finden. Ein solcher Ausgleich sieht naturgemäß anders aus, wenn er zwischen Arbeitnehmer- und Wirtschaftsflügel der Union gefunden werden muss als zwischen Rot und Grün. Aber diesem Kompromiss sieht man geradezu an, dass er nicht für die Realität, sondern zur Befriedung eines innerparteilichen Kleinkriegs gemacht ist.

Es gibt in den Eckpunkten nämlich einen weiteren Passus, der sehr nach Sollbruchstelle klingt. Unterstellt, die neue Kommission einigt sich: Dann soll diese Lohnuntergrenze „durch Rechtsverordnung der Bundesregierung rechtsverbindlich“ gemacht werden. Die FDP weist darauf hin, dass das Grundgesetz derlei kaum vorsieht: dass eine nur von Verbänden beschickte Kommission Beschlüsse treffen darf, welche die Politik hernach eins zu eins übernehmen muss. Es hat in dieser Wahlperiode ja schon allerhand Überraschungen gegeben; hier wäre die nächste: Die Union schlägt die Einführung von einer Art Sowjet-Gremium vor, das niemand gewählt hat, aber im Besitz höherer Weisheiten sein soll.

Wer einen Mindestlohn nicht will oder nicht durchsetzen kann, der soll das sagen. Das wäre dann eine der Fragen, die man den Wählern bei der Bundestagswahl 2013 vorlegen kann. Ist sie ihnen wichtig, verhelfen sie vielleicht einer anderen Koalition an die Macht. Die kann im Parlament einen Mindestlohn beschließen, per Gesetz. So sieht es das Grundgesetz vor; kaum zu glauben, dass es in der Union tatsächlich Bolschewiki gibt, die das erst lernen müssen.

Ein Kommentar aus der Süddeutschen Zeitung, erschienen am 27. April 2012

Autor: Detlef Esslinger
Quelle: spd.de

 

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