"Biogas bitte im Nachbardorf"

Veröffentlicht am 21.04.2011 in Umwelt

Matthias Platzeck im Interview. Berliner Zeitung vom 21. April 2011
Das Atomunglück in Tschernobyl vor 25 Jahren hat auch die DDR aufgerüttelt, sagt Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck, der damals in der Umweltbewegung aktiv war. In einem Interview mit der Berliner Zeitung fordert er eine ehrliche Debatte über unsere zukünftige Energieversorgung.

Herr Platzeck, wann und wo haben Sie vom Reaktorunglück in Tschernobyl erfahren?

Sicher aus dem Westfernsehen. Wenn ich mich recht erinnere, brauchte die Aktuelle Kamera drei Tage, bis sie mit der Nachricht herausrückte, in der üblichen verschämten, nichtssagenden Art: Ein kleiner Unfall ist passiert, die Folgen sind schon beseitigt, alles ist im grünen Bereich.

Wurde das öffentlich diskutiert?

Ja, mit stark ansteigender Kurve. Auslöser dafür war auch der Sport. Anfang Mai 1986 sollte die Friedensfahrt in Kiew starten, ein Hochamt des Sports in der DDR wie die Tour de France im Westen. Die wurde im Fernsehen übertragen, und nachdem fast alle Westmannschaften abgesagt hatten, beflügelte der tägliche Anblick des halbierten Pelotons die Debatte über die Gefahr, die vom Atomunglück ausging.

Wie haben die Menschen reagiert?

Die Unsicherheit drang damit in Bevölkerungsgruppen vor, die sich vorher nicht dafür interessiert hatten. Wenn das so ein Einschnitt ist, sagte man, dann muss da etwas Fundamentales passiert sein. Zudem gab es plötzlich ein Überangebot an frischem Gemüse, was damals weiß Gott nicht die Regel war.

Der Export in den Westen war wegen Sorge vor Verstrahlung zusammengebrochen?

Ja.

Im Mai 1986 äußerte sich Michail Gorbatschow...

Das hat noch einmal eigene Wirkung entfaltet: Wenn der Chef selbst es sagt, kann die Sache keine Lappalie gewesen sein. Von offizieller Seite in der DDR ist das Unglück aber von Anfang an verniedlicht worden. Wir haben bis zur Wende aus unseren Medien nie erfahren, wie groß der Schaden tatsächlich war. Der Umgang hatte eine Logik: Schon ein Zugunglück passte nicht ins sozialistische Weltbild - ein Superunfall erst recht nicht.

Die SED war dabei, auch die DDR mit AKW auszustatten.

Man hatte große Pläne in Stendal und für Lubmin.

Wurden diese Projekte nach Tschernobyl in Frage gestellt?

Staatlicherseits gar nicht. Es gab weder einen Baustopp noch Überlegungen in diese Richtung. Bei den Menschen aber sehr wohl. Wir haben in Potsdam 1988 eine Umweltgruppe gegründet. Die wichtigste Forderung: Gebt Umweltinformationen endlich frei. Tschernobyl hatte deutlich gemacht, dass gelogen wird. Ich hatte schon ähnliche Erfahrungen gemacht: 1979 war ich wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lufthygieneinstitut in Chemnitz. Wir haben die Luftqualität im oberen Erzgebirge nahe Braunkohlekraftwerken überwacht. Wir hatten die Werte alle, sie waren verheerend. Aber sie verschwanden im Panzerschrank, und niemand durfte darüber reden.

Hatte die Anti-Atom-Bewegung in der DDR jemals die Bedeutung, die sie im Westen hatte?

Nein. Sie war kein Sozialisationsfaktor für junge Menschen wie im Westen. Hier war es ja nicht möglich zu demonstrieren. Die Anti-Atom-Bewegung war in der DDR Teil der Umweltbewegung, aber kein Massenphänomen.

Sehen Sie Parallelen zum anderen großen Energie-Streitthema in Brandenburg, der unterirdischen Kohlendioxid-Verpressung (CCS)?

Nein, aber sie werden durchaus gezogen. Zum Beispiel haben die CCS-Gegner sehr bewusst den Begriff Speicherung gegen CO2-Endlagerung ausgetauscht - das soll an Atommüll erinnern.

Dann fühlt sich Brandenburg wie einst Niedersachsen - ein Gorleben für Kohlendioxid?

Nein, wir sind kein Speicherland. Unsere geologischen Bedingungen reichen gerade, um in einer Testphase CO2 zu speichern, nicht aber für den Betrieb eines Kraftwerks. Das könnten Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Die wollen aber nicht, und dann brauchen wir hier gar nicht erst anzufangen. Wenn man eine Technologie, die auf Akzeptanzprobleme stößt, durchsetzen will, darf man das Land nicht teilen. Deshalb ist das CCS-Gesetz der Bundesregierung ein Rohrkrepierer. Ein Gesetz, das die Ausstiegsoption enthält, teilt die Regierungen in angeblich fürsorgliche und solche, die scheinbar gegen den Willen ihrer Bevölkerung vorgehen. Wo man um Mehrheiten kämpfen muss, geht so etwas nicht. Wenn Deutschland die CCS-Technologie will, muss es auch in der Lage sein, sich politisch dafür zu entscheiden.

Wie wollen Sie weiterkommen?

Ich wünsche mir, auch von den Bürgern, eine ehrlichere Debatte. Ich habe an unzähligen Veranstaltungen zur Energiefrage teilgenommen. Der Konsens ist immer schnell gefunden: Atomkraft Nein Danke, Kohle nicht, Windkraft haben wir genug, Biogas bitte im Nachbardorf und Stromtrassen wollen wir nicht. Wie soll das gehen?

Erkennen Sie da Elemente aus der DDR-Umweltbewegung wieder wie das Misstrauen gegen die Obrigkeit?

Ich bin froh darüber, dass die Leute so sind. Demokratie lebt von Kontrolle. Aber wir müssen den dem Bürger auch sagen dürfen: Wenn Du weiter in einem Industrieland leben willst - und das ist der Garant unseres Wohlstands -, dann wird das nicht gehen, dass Du davon nichts hörst, nichts siehst, nichts riechst und nichts schmeckst.

Sie wünschen sich eine andere Bevölkerung?

Unsinn, aber viele haben noch nicht verstanden, dass wir mit der Energiewende unsere Versorgung dezentralisieren. Wenn wir auf Kohle- und Atomkraft künftig verzichten wollen, werden wir überall Photovoltaik, Windkraft und Biogasanlagen brauchen. Dann merkt es fast jeder, riecht und spürt es. Damit haben viele Bürger noch nicht umzugehen gelernt. Brandenburg ist das beste Bundesland bei den erneuerbaren Energien. Wir erzeugen 60 Prozent unseres Stroms auf diese Weise. Deshalb sind wir auch die ersten, die diese Akzeptanzprobleme haben. Wir haben Bürgerinitiativen gegen jede dieser Technologien. Bislang wird die Debatte sehr romantisch geführt.

Das Interview führten Katja Tichomirowa und Gerold Büchner
Berliner Zeitung, 21.04.2011

 

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