"Die Lasten der Krise sind ungleich verteilt"

Veröffentlicht am 15.08.2012 in Bundespolitik

Carsten Schneider im Interview, Berliner Zeitung vom 15.08.12

Der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Gespräch über Sparpakete, Merkels falsche Krisenpolitik und den Beitrag der Reichen zur Lösung der Schuldenkrise.

Herr Schneider, die spanische Regierung hat gerade ein neues Sparpaket vorgelegt. Sind die Ziele seriös? Wird dort brutal gespart?

Wenn ich nach dem gehe, was auf dem Papier steht, dann plant Spanien bis 2014 jährliche Sparmaßnahmen im Umfang von etwa vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das sind sehr tiefe Einschnitte.

Wenn Deutschland so drastisch sparen müsste wie jetzt Spanien, wie würde unser Haushalt aussehen?

Auf deutsche Verhältnisse übertragen, müssten wir etwa 250 Milliarden Euro einsparen. Das entspricht in etwa den Steuereinnahmen des gesamten Bundeshaushaltes. Das würde nicht nur erhebliche Steuererhöhungen bedeuten, auch alle investiven Ausgaben wären davon betroffen. Außerdem müssten sich Arbeitslose und Rentner auf Einkommensverluste von etwa 20 Prozent einstellen.

Geht das überhaupt?

Ein solches Sparpaket wäre bei uns nicht machbar. Es gäbe einen sozialen Aufstand. Das letzte große Sparpaket, das Merkel 2010 vorstellte, hatte einen Umfang von nur 80 Milliarden Euro über mehrere Jahre. Und selbst davon ist bisher nur die Hälfte umgesetzt, beispielsweise durch die Flugverkehrsabgabe.

Halten Sie denn dann das spanische Sparpaket für realistisch? Und was ist mit den Sparplänen in Griechenland, die – zumindest auf dem Papier – noch viel extremer sind?

Ich glaube diesen Zahlen nicht. Sie beruhen auf der Annahme von Wirtschaftswachstum, das dem Staat höhere Steuereinnahmen bescheren soll. Aber solche Sparmaßnahmen führen unweigerlich in die Rezession, zumal ja der private Sektor wegen der hohen Arbeitslosigkeit ebenfalls spart. Deswegen haben wir auch immer gesagt, dass wir die Voraussetzungen dafür schaffen müssen, dass die Wirtschaft in diesen Ländern wieder wachsen kann. Die Lasten der Krise sind bisher zu ungleich verteilt.

Wie meinen Sie das?

Die Finanzmärkte sind irrational. Die Zinsen, die Spanien für neues Geld bezahlen muss, waren zeitweise höher als für Pakistan. Ist das wirtschaftlich gerechtfertigt? Mit etwa 30 Milliarden Euro sind die Zinszahlungen inzwischen einer der größte Posten im spanischen Haushalt. Wenn wir in Deutschland so hohe Zinsen bezahlen müssten, müssten wir die Mehrwertsteuer allein dafür um mindestens fünf Prozentpunkte erhöhen.

Stattdessen haben wir die niedrigsten Zinsen der Geschichte.

Ja, wir profitieren bisher in großem Ausmaß von der Krise, die Anleger zu uns treibt. Gleichzeitig hilft der niedrige Außenwert des Euros unserer Exportwirtschaft und damit den Arbeitsplätzen bei uns. Wir sind die Profiteure der Krise.

Warum sollten die Deutschen unter diesen Umständen in eine Schuldenunion einwilligen, wie das die SPD vorschlägt?

In Wahrheit sind wir schon längst in der Schuldenunion. Wir haften nicht nur im Rahmen der Griechenland-Pakete und der Euro-Rettungsschirme mit insgesamt 310 Milliarden Euro für die Schulden der Defizitländer, sondern mit noch viel größeren Summen für die Transaktionen der Europäischen Zentralbank. An den Risiken innerhalb des Notenbanksystems , die sich in den so genannten Target-II-Salden abbilden, ist Deutschland immer mit einem Anteil von 27 Prozent beteiligt. Dasselbe gilt für die Liquidität, die die EZB an Banken gibt, wenn diese Anleihen bei ihr hinterlegen.

Wie hoch ist denn die Gesamtsumme, für die Deutschland im Notfall einstehen muss?

Insgesamt beläuft sich das deutsche Haftungsrisiko inzwischen auf eine Billion Euro. Zwei Drittel davon gehen auf das Konto der EZB, die aber ihre Entscheidung auf völlig intransparente und undemokratische Weise trifft. Im EZB-Rat hat Deutschland nur eine einzige Stimme, genauso wie zum Beispiel Malta, und kann jederzeit überstimmt werden. Defizite über die EZB zu finanzieren, ist der schlechteste Weg, mit der Eurokrise umzugehen. Aber Merkel bevorzugt diesen Weg, weil er ihr immer neue Abstimmungen im Bundestag über immer höhere Haftungssummen erspart.

Wie kann Europa von diesem Schuldenberg jemals wieder herunterkommen? Muss die Inflation steigen?

Eine höhere Inflation erspart den Staaten schmerzhafte Sparmaßnahmen. Aber ich halte diesen Weg trotzdem nicht für richtig. Inflation untergräbt das Vertrauen in eine Währung dauerhaft. Die Lasten trügen vor allem die Sparer sowie Rentner und abhängig Beschäftigte, wenn ihre Löhne nicht Schritt halten.

Wie soll es denn sonst gehen?

Wir müssen in ganz Europa den Steuerwettbewerb bekämpfen. Und wir brauchen Steuern auf Finanztransaktionen und große Vermögen.

Wobei das Kapital ein flüchtiges Reh ist …

Deswegen sage ich auch, dass in Europa die Freiheit des Kapitalverkehrs keine heilige Kuh sein darf. Die Reichen müssen ihren Beitrag zur Lösung der Schuldenkrise leisten. Dass sie das bisher nicht tun, ist ein großer gesellschaftlicher Missstand.

Das Gespräch führte Bettina Vestring

 

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