„Europa ist die Antwort auf die Krise – auch für Deutschland."

Veröffentlicht am 11.02.2011 in Bundespolitik

Steinbrück im Dialog mit der Fraktion

Interview mit Peer Steinbrück auf spd-fraktion.brandenburg.de vom 11.02.2011. Steinbrück war von 2005 bis 2009 Bundesfinanzminister.
Auf der Fraktionsklausur der brandenburgischen SPD-Fraktion in Motzen (Mittenwalde) erzählte er von der sozialdemokratischen Beteiligung an der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise und gab Ausblicke auf die Zukunft des Euro und die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland.

Herr Steinbrück, wenn Sie heute zurückblicken: Wie schlimm war die Finanz- und Wirtschaftskrise wirklich?
Ich illustriere das Ausmaß der letzten Krise gern anhand von Fakten. Die letzte große Krise, die den meisten älteren Deutschen noch gut erinnerlich ist, war die Krise von 1975, die mit dem Ölpreisschock von 1973 begann. Diese Krise bewirkte einen Einbruch im Wirtschaftswachstum von minus 0,9 Prozent. Im Jahr 2009 lag es bei minus 4,9 Prozent!

Wie kommt es, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland dennoch sogar gesunken ist?
Ja, darüber staunt die ganze Welt. Denn in den USA und Großbritannien hat die Krise die Arbeitslosigkeit stark ansteigen lassen. Die Große Koalition hat damals sehr schnell reagiert und ein effektives Maßnahmenpaket verabschiedet. Aber auch die Agenda 2010 hat wesentlich dazu beigetragen, dass der deutsche Arbeitsmarkt bei allem Trubel gut durchkam. Ich erwähne ferner das Kurzarbeitergeld von Olaf Scholz, das kommunale Investitionsprogramm und die Abwrackprämie. Alles Ideen der SPD.

Diese Leistung hat sich aber in der Bevölkerung nicht wirklich herumgesprochen…
Das ist richtig. Denn wir Sozialdemokraten haben diese Rettungsleistung nicht gut kommuniziert. Die Reformen wurden auf die Stichworte Hartz IV und Rente mit 67 reduziert. Und dafür haben wir uns dann auch noch geschämt. Die vielen anderen wichtigen Initiativen, die uns heute nützen, haben wir nie erwähnt.

Die Bevölkerung betrachtete die Rettungsleistung sicherlich auch deshalb mit Misstrauen, weil zunächst einfach nur Unsummen an Staatsgeldern in die Banken flossen.
Bei vielen Leuten kam damals die Botschaft an: Der Staat schüttet nun 500 Milliarden Euro in den Rachen der Banken oder vielmehr sogar der Bänker, die ja durch ihre Risikoignoranz mitverantwortlich waren für die Krise. Und auf der anderen Seite ist kein Geld da für Schulrenovierungen, neue Straßen oder ein paar Euro Hartz-IV-Erhöhung.
Das ist allerdings zu kurz gedacht. Die Banken mussten gerettet werden, weil sie das Arteriensystem unserer Wirtschaft und Gesellschaft mit Geld versorgen: Unternehmen brauchen Kredite für arbeitsplatzschaffende Investitionen, Familien brauchen Kredite, um ein Haus zu bauen oder ein Auto kaufen zu können, die Sparer wollen ihre Anlagen sicher wissen und die Rentner ihre Rentenansprüche. Ausnahmslos wir alle haben ein massives Interesse an einem stabilen funktionsfähigen Bankensektor.

Deutschland musste sich für diese Rettung aber wieder hoch verschulden. Drohen uns ähnliche Schwierigkeiten wie Island oder nun Griechenland?
Nein. Deutschlands Wirtschaft steht glücklicherweise auf wesentlich solideren Füßen als beispielsweise die irische. Irland bezog den Hauptteil seiner Wirtschaftsleistung aus dem Handel mit Finanzprodukten.

Kann die Krise des Euro gefährlich werden für Deutschland?
Wir haben keine „Euro-Krise“. Der Euro steht als solides Zahlungsmittel überhaupt nicht in Frage. Einige Euro-Länder stecken aber in einer Refinanzierungskrise. Das heißt, sie haben zu große staatliche Defizite und Schwierigkeiten, sich neue Kredite zu besorgen. Die Gründe für diese Krisen sind in den jeweiligen Ländern unterschiedlich und hängen auch mit den unterschiedlichen Bankenregulierungen, Wirtschaftsstrukturen und zu geringer Wettbewerbsfähigkeit zusammen. Aber: Europa ist nicht schuld an der Krise, sondern „Europa“ ist die Antwort auf die Krise – auch für Deutschland.

Wie bewerten Sie das schwarz-gelbe Krisenmanagement in Europa?
Die Bundesregierung wurstelt sich seit 12 Monaten durch diese Krise. Angela Merkel hat nach einigem Zögern Frank-Walter Steinmeiers Forderung vom Dezember, ein umfassendes Paket zur Stabilisierung der Gemeinschaftswährung zu schnüren, übernommen. Die Regierung ist allerdings gespalten, denn die FDP steht nicht hinter Merkels Strategie. Vor allem aber ist die Kommunikation ihres Krisenmanagements katastrophal! Ein FDP-Bundestagsabgeordneter hat tatsächlich vorgeschlagen, dass die Griechen ja einfach ihre Inseln verkaufen könnten. Das ist billiger Populismus und hat desaströse Folgen für die Wahrnehmung in der Bevölkerung! Die Regierung spielt mit den Vorurteilen der Bevölkerung und heizt das Empfinden an, Deutschland sei der Zahlmeister der EU. Deutschland ist aber vor allem Nutznießer der EU und hat ein großes wirtschaftliches Interesse am Euro-Erhalt. Und dazu brauchen wir nicht weniger Europa, sondern mehr.

Wie kann das aussehen?
Wir müssen nun die Geburtsfehler des Maastrichter Vertrags ausbügeln. Eine Währungsunion ist ohne eine politische Union nicht möglich. Das heißt, dass die EU-Länder beispielsweise ihre Fiskalpolitik stärker koordinieren müssen. Wenn Deutschland für Irlands Schulden bürgt, dann ist nicht einzusehen, dass Irland weiter auf seiner niedrigen Körperschaftssteuer besteht, die dazu führt, dass immer mehr europäische Unternehmen ihren Sitz und somit ihre Arbeitsplätze nach Dublin verlagern. Wie eine sogenannte Wirtschaftsregierung genau aussehen soll, ist im Moment völlig unklar.

Wie sieht Ihre Prognose für die nahe Zukunft aus?
Falls keine weiteren externen Faktoren ins Spiel kommen, so wird sich der Pfad des Wirtschaftswachstums abgeflacht, aber konstant fortsetzen können. Auch für den Arbeitsmarkt sehe ich positive Entwicklungen, was auch zu einem großen Teil dem demografischen Wandel geschuldet ist. Auf EU-Ebene sind noch große Aufgaben zu bewältigen. Die Umschuldung Griechenlands wird möglicherweise noch in diesem Jahr auf die Tagesordnung kommen. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie auf die anstehenden europäischen Aufgaben gut vorbereitet ist – und auch, dass sie die politische, ökonomische und soziale Bedeutung Europas für Deutschland der Bevölkerung erklärt.

 

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