Platzeck: "Wir müssen die Nazis entschlossener bekämpfen"

Veröffentlicht am 25.11.2011 in Allgemein

Matthias Platzeck im Interview, Frankfurter Rundschau vom 25. November 2011

Herr Ministerpräsident, fühlen Sie sich ausreichend informiert über die rechten Umtriebe im Land?

Dass wir alle zusammen nicht genug gewusst haben, hat sich in den letzten Tagen deutlich gezeigt. Wir haben es hier mit schwerkriminellen, rechtsterroristischen Strukturen zu tun. Das ist qualitativ etwas völlig Neues und muss auch anders behandelt werden. Mit dem Verweis auf den angeblich dumpfen Osten, wie es in den aktuellen Debatten teils geschieht, werden wir diesen sehr komplexen Problemen jedenfalls nicht gerecht.

Das hört sich an wie ein ostdeutscher Verteidigungsreflex.

Nein, ich bestreite überhaupt nicht, dass ein Schwerpunkt rechter Gewalt in Ostdeutschland liegt. Da gibt es nichts zu beschönigen. Auch in Brandenburg haben wir Strukturen, die mich mit Sorge erfüllen.

Warum ist das so?

Die vormals autoritären Strukturen spielen eine Rolle. Der Zusammenbruch ganzer Industrien hat den Zusammenbruch von Lebenswelten mit sich gebracht, Desorientierung und Entwurzelung. Wir hatten in den 90er-Jahren eine in Teilen überforderte Polizei und Justiz und eine nur schwach ausgeprägte Zivilgesellschaft. Aber seither sind eminente Anstrengungen unternommen worden und es sind zivilgesellschaftliche Strukturen entstanden.

Sie meinen in ganz Ostdeutschland?

Da rede ich vor allem für Brandenburg, weil ich mich hier am besten auskenne. Wo die NPD bei uns auftaucht, gibt es Gegenaktionen. Das hat Folgen. Heute trauen sich die Nazis nicht mehr nach Halbe, wo sie in den 90ern noch Aufmärsche gefeiert haben. Oder die Aktionen gegen den NPD-Parteitag kürzlich in Neuruppin, bei klirrender Kälte. Da war auch die halbe Landesregierung dabei, um die Aktiven vor Ort moralisch zu unterstützen. Bei uns ist das Regierungsthema, wir nehmen das absolut ernst. Das Problem wird aber auch in fünf Jahren nicht erledigt sein. Nur das Bild von den dumpf vor sich hindämmernden Ostdeutschen ist Unfug.

Was dachten Sie, als Sie von der Mordserie erfuhren?

Die Verwunderung hielt sich in Grenzen. Wir warnen seit Jahren vor der offensichtlichen Gefahr. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus muss weiter höchste Priorität haben. Deswegen war ich richtig wütend - und zwar lange vor Zwickau - über das Verhalten von Bundesfamilienministerin Schröder. Sie hat begonnen, das Problem zu relativieren, Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus komplizierter gemacht und plötzlich darauf gedrungen, die Gefahr von links stärker zu thematisieren. Klipp und klar: Die Gefahr für die Demokratie in Deutschland kommt ganz klar von rechts außen. Darauf müssen wir reagieren.

Und wie?

Es muss staatlicherseits mehr getan werden. Wir müssen die Nazis entschlossener und mit allen verfügbaren Mitteln bekämpfen. Dazu brauchen wir Gemeinsamkeit und nicht schon wieder diese Trennung zwischen Ost und West. Die Bundesprogramme zur Stärkung der Zivilgesellschaft müssen aufgestockt werden. Ich hielte es für sinnvoll, dafür eine Stiftungslösung zu finden. Das sichert die Finanzierung und die Initiativen müssen nicht jedes Jahr neu kämpfen.

Mit dem Stiftungsmodell könnten Sie in Brandenburg ja anfangen.

Wir haben schon seit Ende der 90er Jahre Korrekturen zur Stärkung der Zivilgesellschaft vorgenommen. Teils gilt das als vorbildlich. Wir haben so die Nazis aus dem Brandenburger Landtag wieder rausbekommen. Mit dem Aktionsbündnis gegen Rechte Gewalt, dem Toleranten Brandenburg, mit mobilen Einsatzteams, regionalen Anlaufstellen und Vereinen und Verbänden wie der Landessportjugend, unsere Toleranzträger in der Fläche, haben wir funktionierende Strukturen geschaffen. Gleichzeitig haben wir die Repression verschärft. Aber wir brauchen auch die bundesfinanzierten Programme gegen rechts.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat keinen Zugriff auf die Informationen der Länder. Wären sie bereit, Kompetenzen abzugeben?

Ganz klar, der Informationsaustausch der Dienste muss dringend verbessert werden. Ein zentrales Abwehrzentrum halte ich für richtig. Wir unterstützen alles, was die Ergebnisse der Arbeit gegen den Rechtsterrorismus verbessert. Dabei gibt es für uns keine Tabus.

Wie stehen Sie zu der Fusion der Ämter in Berlin und Brandenburg?

Nochmal: Was uns wehrhafter macht, ist zu prüfen. Aber ich bin gegen Schnellschüsse. Was ich schon seit Jahren fordere: Wir sollten endlich dieses peinliche V-Leute-Problem lösen und das NPD-Verbot voranbringen.

Sie wollen auf V-Leute in der rechten Szene verzichten?

Nein. Das hat das Bundesverfassungsgericht auch nicht vorgegeben. Aber V-Leute dürfen nicht in der Führungsebene sein. Dabei mache ich mir keine Illusionen über den Effekt eines NPD-Verbotes. Aber es wäre ein Signal, dass wir uns von denen nicht weiter auf der Nase herumtanzen lassen und sie auch noch mitfinanzieren. Übrigens: Das Führungspersonal, Leute wie Holger Apfel oder Udo Pastörs, kommt aus dem Westen. Und die Geldgeber sitzen auch dort.

Das Gespräch führte Andrea Beyerlein.

 

Homepage SPD Oberhavel

Besucher:401020
Heute:15
Online:1